„Heimat erwandern“ – die Steinwaldia Pullenreuth auf kulturhistorischer Spurensuche von Trabitz nach Kaibitz

Von Regen nicht zu bremsen: Eine traditionsreiche Wanderung entlang der Haidenaab führt zu historischen Stätten und tief verwurzelten Geschichten – mit Anekdoten, Fachwissen und Heimatliebe.

Trabitz, ein Sonntagmorgen im Frühsommer. Der Regen fällt fein und stetig vom grauen Himmel, doch das hält die Mitglieder der Gesellschaft Steinwaldia Pullenreuth e.V. nicht davon ab, sich ein weiteres Mal auf den Weg zu machen – auf ihrer inzwischen über drei Jahrzehnte gepflegten Tradition der kulturhistorischen Vereinswanderung. Ziel ist diesmal die Route entlang der Haidenaab von Trabitz über Unterbruck und Wolframshof bis nach Kaibitz. „Wir haben schon ganz anderes Wetter erlebt“, scherzt Norbert Reger, der langjährige Vorsitzende der Steinwaldia, als er pünktlich um 10 Uhr zur Wanderung begrüßt. „Heimat ist eben nicht nur Sonnenschein – sie zeigt sich auch in Regenjacken und wasserdichten Wanderschuhen.“

Der Meierhof in Trabitz – Zeuge klösterlicher Vergangenheit und slawischer Wurzeln
Bürgermeister Hans Walter aus Kastl, der als sachkundiger Referent an den einzelnen Stationen Rede und Antwort stand, zeigt sich erfreut über die Einladung der Steinwaldia: „Ich hab sehr gern zugesagt, denn diese Themen interessieren mich persönlich sehr. Zu jeder Station könnte ich stundenlang erzählen – vieles davon ist im Alltag leider längst in Vergessenheit geraten.“ Gleich zu Beginn seiner Ausführungen spannt Walter einen weiten historischen Bogen und geht auf die Besiedlung der Region entlang der Haidenaab ein. Besonders faszinierend seien die slawischen Einflüsse in der Gegend. So leite sich der Ortsname Trabitz vermutlich von den slawischen Wörtern „trawa“ (Gras) und „-itz“ (Wasserbezeichnung) ab. Daraus ergebe sich sinngemäß: „Der Bach, der durch Grasland führt.“ Auch der Name Troglau, in alten Urkunden als „Tragelow“ erwähnt, deute auf slawische Ursprünge hin.

Im weiteren Verlauf geht Walter auf die wirtschaftliche Bedeutung der Region ein: Entlang der Haidenaab entstanden über Jahrhunderte hinweg zahlreiche Eisenhämmer, die das Wasser nutzten, um Roheisen zu verarbeiten. Viele dieser Betriebe seien aber im Laufe der Zeit wieder eingegangen – sei es durch Rohstoffmangel oder durch fehlende Arbeits- und Fachkräfte. „Man könnte sagen, Trabitz war ein früher Gewerbestandort – ein Wirtschaftsraum der Vormoderne“, so Walter.

In der Blütezeit des Klosters Speinshart hätten schließlich die Geistlichen die Betriebe übernommen und führten sie mehr oder weniger wirtschaftlich. An eben jener Stelle, wo heute der Meierhof steht, entstand damals das Verwaltergebäude der Speinsharter, das zur zentralen Drehscheibe für den Betrieb wurde. Dass diese Geschichte bis heute sichtbar bleibt, zeigt ein Detail: An der Fassade des liebevoll sanierten Meierhofs prangt noch immer eine steinerne Tafel mit Verweis auf das Kloster Speinshart – ein stummer Zeuge der langen Geschichte von Glaube, Arbeit und Wandel in der Region.

Nach Jahren des Leerstands wurde er liebevoll saniert und beherbergt heute Wohngruppen mit zu betreuenden Minderjährigen. „Gerade Orte wie der Meierhof zeigen, wie sich Geschichte verändert und doch im Alltag weiterlebt. Der Geist der Verantwortung, der einst das klösterliche Leben prägte, ist heute in der Betreuung junger Menschen spürbar.“

Unterbruck: Das alte Hammerschloss erzählt – Schicksale aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Entlang der Haidenaab geht es weiter nach Unterbruck. Hier erhebt sich das ehemalige Hammerschloss – ein beeindruckendes Ensemble aus dem 16. Jahrhundert, das durch seinen Erker, das Walmdach und die markanten Fensterläden mit rot-weißen Diagonalstreifen sofort ins Auge fällt.

Doch hinter der malerischen Fassade verbirgt sich eine sehr wechselhafte Geschichte, wie Bürgermeister Hans Walter berichtet. Besonders spannend sind die Jahre vor, während und nach dem Dreißigjährigen Krieg. „Hier haben sich Dramen und persönliche Schicksale abgespielt, die heute Stoff für ganze Kinofilme liefern würden“, so Walter. Einer der damaligen Besitzer war überzeugter Protestant und sah in den vorrückenden Schweden, die zu jener Zeit die Stadt Kemnath belagerten, die langersehnte Erlösung von der verhassten katholischen Herrschaft.

„Er half den Schweden bei der Einnahme von Kemnath“, erzählt Walter, „in der Hoffnung, dass sie die katholischen Kräfte vertreiben würden.“ Doch der Plan ging nicht auf: Die Schweden interessierten sich weniger für religiöse Befreiung als für Plünderung und Brandschatzung. Die Bevölkerung litt schwer – und auch der Hammerschlossbesitzer wurde später verhaftet und landete im Kerker in Kemnath. Man munkelt, dass er dort an der Pest verstorben sei.

Nach seinem Tod ging das Schloss in die Hände des damaligen Landrichters über – doch auch dieser wurde mit dem Besitz nicht glücklich. Nach seinem Ableben kam es zu verschiedenen Streitigkeiten und erst Jahre später gelang es seiner Witwe und dem gemeinsamen Sohn, das Anwesen nach langen Querelen wieder zu verkaufen. „So ein Schloss ist eben nicht nur Stein und Holz – es ist ein Träger von Geschichten und Schicksalen“, fügt Walter hinzu, was bei den Zuhörern für nachdenkliche Zustimmung sorgte.

Schloss Wolframshof – zwischen Geschichte und Gegenwart
Die Wandergruppe setzt ihren Weg fort, vorbei an sattgrünen Wiesen, durch tropfende Baumalleen – bis hin zum Schloss Wolframshof. Eingebettet in die Haidenaab, erhebt sich das Schloss auf einer kleinen Insel. Der Ursprung reicht bis ins 11. Jahrhundert zurück, der heutige Bau stammt aus den 1920er Jahren – ein neobarocker Wiederaufbau nach einem verheerenden Brand.

Hier treffen die rund 30 Teilnehmer der Wanderung auf einen etwas außergewöhnlichen Kontrast, wie er in der Oberpfalz nicht alltäglich ist: Während Bürgermeister Hans Walter mit viel Sachverstand und Humor die wechselvolle Geschichte des Schlosses und seiner Umgebung erklärt, laufen im Hintergrund noch die Aufräumarbeiten des Techno-Festivals „Klangfestung“, das am Vorabend rund 800 Besucher aus der Region nach Wolframshof gelockt hat.

Schlossherr Maximilian von Grundherr lässt es sich nicht nehmen, die Wandergruppe persönlich zu begrüßen: „Es gibt in der Region keinen besseren, der die Geschichte unseres Hauses hier an dieser Stelle in Verbindung mit dem Rauhen Kulm, der Haidenaab, der Pfarrkirche in Kastl, dem Kloster Speinshart und der Burg in Waldeck besser und verständlicher in aller Kürze erklären könnte.“

Ursprünglich war eine Rast unter den alten Bäumen auf Bierbänken vorgesehen – doch der Regen zwingt zur Improvisation. Spontan weicht man in die noch aufgebaute VIP-Lounge des Festivals aus, ausgestattet mit bequemen Sofas, bunten Teppichen und üppiger Deko. „Warm wird es dem einen oder anderen, als der erste Obstler eingeschenkt wurde“, bemerkt Norbert Reger augenzwinkernd – ein Moment, der die Brücke zwischen Kultur und Lebensfreude perfekt schlägt.

Kaibitz: Die Mühle, das Schloss und ein Dorf voller Geschichte
Am frühen Nachmittag erreicht die Gruppe Kaibitz. Dort übernimmt Helene Eibisch die Führung in der alten Mühle, die einst neben der Brauerei und dem Schloss Dreh- und Angelpunkt des Dorfes war. Leidenschaftlich berichtet sie von der schweren Zeit, die jede Generation für sich meistern musste.
„Doch die Leute sind immer standhaft geblieben – stur, lebensfroh und verwurzelt“, sagt sie.
„Der Großvater meines Ehemannes Ernst, Karl Friedrich Eibisch und seine Frau Anna Maria kamen aus Sachsen, ihnen gehörten die Rittergüter Rothenkirchen/Steinberg und Obergölztsch in Rodewisch/Vogtland. Im Jahre 1894 kaufte er das große Gut von der Familie Haberland zusammen mit dem Schloss in Kaibitz. Beide waren von den ärmeren Böden in der Oberpfalz und seinen Erträgen enttäuscht und wollten sogar verkaufen. Karl Friedrich verstarb 1910 und seine Frau lebte mit ihren Kindern in ärmlichsten Verhältnissen, um in der Kriegszeit das Gut zu erhalten. Als der Sohn Ely Friedrich aus dem Weltkrieg zurückkam, gab es große Probleme bei der Übergabe innerhalb der Familie. Er musste deshalb 1918 das Schloss und Teile des Grundes schweren Herzens verkaufen, um das Gut in Größe von 100 ha zu übernehmen und zu erhalten.

Da die „Eibisch“ evangelisch waren, durfte er folglich nur die Landwirtschaftsschule in Wirbenz, natürlich zu Fuß, in fast sieben km Entfernung besuchen.

Die erfolgreiche Zeit für das ganze Dorf begann 1924 mit dem Einbau einer Turbine in die Haidenaab und dann vor allem mit dem Neubau der „Kunstmühle“. Alle Einwohner waren zu der Zeit in vielen Gewerben mit dem Schlossgut verbunden. Neben der erfolgreichen Landwirtschaft mit Eigenjagd und Fischrechten, heute noch mit ca. 100 ha, gab es die Schlossbrauerei, Schlosswirtschaft, Polier, Schmiede und eine Bäckerei. Der Betrieb der Kunstmühle war damals revolutionär. Die Bauern konnten ihr Getreide abliefern, sofort ihr Mehl mitnehmen und mit dem Wert des angelieferten Getreides bezahlen. Ganze Schlangen von wartenden Gespannen waren keine Seltenheit. Die Mühle lief noch bis 1960 und die gesamte Einrichtung ist „Gott sei Dank“ noch vollständig erhalten. Das freut mich sehr!

Eure Blicke richten sich schon länger auf das etwas versteckte Schloss. Es hatte in den letzten hundert Jahren mehrere Besitzer. Hoffnungen auf den Rückkauf haben sich nicht erfüllt. Der Schriftsteller Erich Ebermayer zog 1939 nach gründlicher Renovierung in Kaibitz ein. Angeblich auf Empfehlung einer Nazi-Größe hatte er in der Oberpfalz das Schloss Kaibitz gekauft und zog sich vor dem beginnenden Weltkrieg zurück. Seiner beruflichen Arbeit hat das nicht geschadet. Vor dem Kriegsende 1945 brachten Militärfahrzeuge große Teile des Nachlasses seines Freundes Gerhard Hauptmann aus seiner Heimat in Schlesien ins Schloss. So wurde er vor den Russen gerettet. Aber die Amerikaner besetzten kurz vor Kriegsende noch unser Dorf, plünderten das Archiv, verbrannten Teile davon im Lagerfeuer. Vermutlich durch mutige Bürger wurde aber das meiste gerettet und später im Bundesarchiv eingelagert.
Im Sommer 2004 fand man in der Schlosskapelle „unter Staub und Spinnweben“ die literarische Hinterlassenschaft von Erich Ebermeier. Sie wird vom Literaturarchiv der Münchner Stadtbibliothek verwaltet.
Liebe Wanderer, womit ist der Ebermayer auch vielen von euch noch bekannt? Er schrieb 1956 das Drehbuch für „Die Mädels vom Immenhof“.



Ein Ausflug, der verbindet – trotz Regen, Wind und Geschichte
Gegen 15 Uhr endet die Wanderung im Rittersaal der Schlossschänke – nass, aber erfüllt und mit einer Vorfreude auf Kaffee, Kuchen und einer Brotzeit. Zwischen Anekdoten, historischen Fakten, Legenden und persönlichen Erinnerungen ist ein Bild entstanden, ein Heimatbild mit Ecken, mit Tiefe, mit Widerständen. „Wir leben in einer Gegend, die oft vergessen wird – aber sie hat mehr Geschichten als mancher denkt“, fasst Norbert Reger am Schluss zusammen, „und wir sind da, um sie zu bewahren und weiterzuerzählen.“ Der Applaus ist leise – vielleicht, weil die Hände in Jackentaschen stecken. Aber er ist ehrlich. Heimat – sie ist eben nicht nur ein Ort. Sie ist ein Gefühl. Auch bei Regen. Und manchmal auf einer Couch in einer Techno-Lounge.